Soziale Krise? – Einladung zur gemeinsamen Vernetzung im Sozialen Bereich

Die Corona-Krise ist in allen Lebensbereichen angekommen und macht auch vor der Sozialen Arbeit nicht Halt. Ganz im Gegenteil. Er trifft uns als Beschäftigte, genauso wie die Menschen mit denen wir arbeiten. Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit (AKS) hat zu der Situation der Klient*innen bereits ein Statement veröffentlicht, welches ihr unter http://www.aks-muenchen.de/2020/03/stellungnahme_zur_coronapandemie/ findet.

Aber auch für uns als Beschäftigte im Sozialen Bereich geht es gerade rund. An vielen Stellen nimmt die Arbeitsbelastung zu, teilweise wurde das Arbeitsrecht ausgehebelt, Schutz- und Sicherheit der Arbeitnehmer*innen sind in Gefahr oder Finanzierungen sind unsicher.

Eine totale Entgrenzung der Arbeit durch Verrichtung in den eigenen Vierwänden (Home Office), ständige Erreichbarkeit oder fehlender Arbeitsschutz bei Klient*innenkontakt, stehen fehlenden Finanzierungszusagen und somit der Angst vor Kurzarbeit und sogar vor Jobverlust gegenüber.

Für uns als Beschäftigte werden viele Auswirkungen der Krise spürbar, die meisten davon sind negativ (eine Liste an Beispielen haben wir unten gesammelt). Gleichzeitig sind uns Möglichkeiten des Austauschs, aber auch des Protests, durch die Infektionsschutzmaßnahmen genommen.

Wir (Beschäftigte, Gewerkschafter*innen und politisch Aktive) möchten daher eine Vernetzung von Beschäftigten im Sozialen Bereich schaffen, in der Platz ist für Austausch über die aktuelle Arbeitssituation, Arbeitsbedingungen, Herausforderungen, Probleme, Schweinerein und Arbeitsrechtsverstöße. Vernetzung und Austausch ist in der aktuellen Situation wichtiger denje!

Wir wollen eine Telegram-Gruppe schaffen, in der Arbeitnehmer*innen aus dem Sozialen Bereich die Möglichkeit haben über ihre Erfahrungen,  Ängste und Situationen zu berichten, aber auch gemeinsam Aktionen und Initiativen zu schaffen und Mitstreiter*innen zu finden. Gemeinsam können wir uns Gehör verschaffen und Möglichkeiten entwickeln uns zu wehren.

 

Tretet der Gruppe bei: t.me/austauschsozialerbereich

 

Wir laden alle recht herzlich ein sich in die Telegram Gruppe ‚Austausch im sozialen Bereich‘ einzutragen und somit die Grundlage eines Betriebs-, Bereichs- und Gewerkschaftsübergreifenden Austausches zu bilden. Gleichzeitig seid ihr alle herzlich eingeladen diese Basis zu nutzen um zu informieren, Fragen zu stellen und Mitstreiter*innen für Initiativen und Kämpfe zu finden.

Schickt diese Einladung gerne weiter über eure Verteiler, Social Media, etc. oder ladet eure Kolleg*innen/ Mitstreiter*innen/ Freund*innen individuell ein!

 

Liebe Grüße

ein Kreis von Beschäftigten, Aktiven, Gewerkschafter*innen

 

In unseren Diskussionen unter Beschäftigten sind wir schon auf einige Themen gekommen, die uns gerade beschäftigen. Wir haben diese unten kurz angerissen. Bestimmt habt ihr noch einiges mehr einzubringen. Die Situationen und Probleme sind dabei so vielfältig, wie das Arbeitsfeld:

   

Schlechte Vorbereitung auf eine Krise

Viele der sozialen Träger waren nicht oder kaum auf eine Krisensituation vorbereitet. Andere opfern die Sicherheit und den Schutz der Mitarbeiter*innen, die mit Kosten verbunden sind, dem oberste Interesse der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.

So ist in fast allen Einrichtung des Sozialen Bereichs unzureichender bzw. fehlender Schutz der Beschäftigten (z.B. durch Schutzkleidung) vorhanden. In Einrichtungen mit Pflegetätigkeiten kam es sogar zum Ignorieren bis hin zur Leugnung von Ansteckungsgefahren. Hinzu kommen dann noch unklare Sicherheitsanweisungen und Chaos in den Dienstanweisungen, die sich nicht selten widersprechen. Neben den direkten Schutzmaßnahmen gibt es auch große Unsicherheiten in den Bereichen der digitalen Arbeitsplätze, sowie des Datenschutzes. Die Sozialarbeiter*innen werden dazu aufgefordert  mehr Video-/Telefonkommunikation mit und über Klient*innen zu betreiben, durch fehlende Konzepte, Mittel und Fortbildungen kommt es hier teilweise zu massiven Vernachlässigung des Datenschutzes. Der Mangel an Dienstlaptops oder Handys führt dazu, dass auf die Privatgeräte der Mitarbeiter*innen zurückgegriffen wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Maßnahmen auch zur Leistungsüberwachung genutzt werden (in den wenigsten Einrichtungen gibt es hierzu umfassende Betriebsvereinbarungen). Darüber hinaus ist die im Sozialen Bereich so wichtige Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben dadurch nicht mehr aufrecht zu erhalten.

 

Mehrarbeit

Es kommt zu einer Entgrenzung der Arbeit. Da sowohl Arbeits- als auch Privatkontakte über die gleichen Geräte laufen, kann die ganze Zeit auf die Mitarbeitenden zugegriffen werden (sowohl durch Klient*innen, wie auch durch Kolleg*innen). Viele Strategien zur eigenen emotionalen Abgrenzung von den Teils schwer aushaltbaren Erlebnissen der Klient*innen fallen weg und müssen alleine in den eigenen Vierwänden ertragen werden.

Aber es kommt auch zur direkten Einforderung von erhöhter Arbeitsleistung. Beispiele finden sich vor allem im stationären Bereich, sowohl um ausgefallene Kolleg*innen zu ersetzten, Corona-Schichtpläne zu erfüllen oder im Umgang mit Quarantänefälle in den Einrichtungen. Hier wird teilweise von Mitarbeiter*innen verlangt, dass sie sich gemeinsam mit den Bezugspersonen in Quarantäne begeben, bzw. mehrere Schichten direkt nacheinander übernehmen. Dafür werden nicht nur Arbeitsrechte außer Kraft gesetzt, sondern auch die private Situation der Arbeitenden ausgeblendet. Wer sich in Quarantäne mit den Klient*innen begibt, kann nicht seine Kinder/Eltern/ Angehörige versorgen. Diese Zustände werden unterstützt von der gesetzlichen Ausweitung der maximalen Arbeitszeit auf 12 h pro Tag und der Reduzierung der Ruhezeiten – das hat mit  Infektionsschutz wenig zu tun. Infektionsschutz braucht ein starkes Immunsystem und damit Pausen und gute Arbeitsbedingungen. Jeder der schonmal mit Atemschutzmasken gearbeitet hat weiß wie anstrengend das ist und das es nach spätesten 6h zu Atemnot kommt.

 

Mehrbelastung

Der soziale Bereich hat nach wie vor einen sehr hohen Frauen*anteil sowie einen sehr hohen Anteil an Müttern. Diese müssen häufig neben der Versorgung der Klient*innen einen Großteil der Betreuung der eigenen Kinder übernehmen und tragen meistens auch einen großen Teil des gemeinsamen Haushalts. Mehrbelastung entsteht unteranderem durch fehlende Schul- und Kinderbetreuung sowie persönliche Entlastungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass auch manche unserer Klient*innen unter größerem Stress leiden (Kinderbetreuung/ Homeoffice/ finanzielle Sorgen/ Verlust des Arbeitsplatzes/Panik) und somit einen erhöhten Betreuungsbedarf haben. Was zu Mehrarbeit, aber auch zu Mehrbelastung der Sozialarbeiter*innen führt. Darüber hinaus gibt es nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der kollegialen Beratung, des Austausches oder der Supervision.

 

Finanzielle Unsicherheit

Durch die fehlende Finanzierungssicherheit für soziale Träger, stehen einige unter existenzieller Bedrohung, was natürlich auch die Mitarbeiter*innen betrifft. Soziale Träger, die im Moment ihre Leistungen nicht erfüllen sind angehalten Kurzarbeit zu beantragen. Gerade in einem Bereich in dem viele Personen in Teilzeit arbeiten und die Bezahlung schlecht ist kann Kurzarbeit bedeuten, dass Arbeitende von dem bleibenden Gehalt nicht mal ihre Mieten bezahlen können. Wir sollen also nicht nur die Krise verwalten, sondern wir erfahren sie teilweise am eigenen Leib. Die Arbeit im Sozialen Bereich (egal ob sie gerade ausgeführt werden kann, oder nicht) ist systemrelevant. Wir wollen endlich auch so bezahlt werden! Und zwar während der Krise und nach der Krise! Statt Rettungsschirme für Wirtschaftskonzerne fordern wir eine 100% Aufstockung des Kurzarbeitsgeldes im Sozialen Bereich, Bonuszahlungen für Beschäftigte, die unter Mehrbelastung während Corona leiden und allgemein höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für systemrelevante Berufe! So stellen wir uns Wertschätzung vor!

 

Situation von Erzieher*innen

Durch die Schließung der Kindertageseinrichtung hat sich die Arbeitswelt von Erzieher*innen sehr verändert, viele befinden sich im Homeoffice mit den eigenen Kindern. An den Tagen an denen sie in den Einrichtungen sind, werden sie dazu angehalten viele fachfremde Tätigkeiten zu verrichten, wie beispielsweise die Einrichtungen zu putzen. Bei der Stadt wurden jetzt alle Erzieher*innen dazu aufgefordert genau zu belegen, was sie im Homeoffice gearbeitet haben.

In einem Bereich, der schon seit langem zu wenig Arbeitskräfte hat, führt der richtige und notwendige Schutz von Risikogruppen (bspw. werden bei der Stadt alle über 60 freigestellt) zu einer massiven Verschärfung der eh schon sehr hohen Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung. Ständig neue Dienstanweisungen für die Organisation der Notbetreuung und den Umgang mit dem Infektionsrisiko, führen zu einer großen Verunsicherung unter den Beschäftigten.

Bei freien Trägern sieht es oft nicht besser aus. Hier kommt es mitunter zu mehr als fragwürdigen Handlungen, wie bspw. die Zeiten der Schließung vom Urlaub abzuziehen oder den Mitarbeiter*innen hierfür Minusstunden anzurechnen.

Die Anweisung vom RGU, das Mitarbeiter*innen, welche die Notbetreuung für systemkritische Berufe anbieten, auch bei einem Verdachtsfall auf Corona im eigenen Haushalt, weiterarbeiten sollen bis das Testergebnis vorliegt (was bis zu einer Woche dauern kann) ist nicht nur den Kolleg*innen gegenüber unverantwortlich. Wir sind der Überzeugung: Mitarbeiter*innenschutz und Infektionsschutz sieht anders aus.

 

Wahrnehmung als Arbeitnehmer*innen

In der Sozialen Arbeit Beschäftigte haben oft das Problem, dass sie nur zweitrangig als Arbeitnehmer*innen gesehen werden und sich auch nur zweitrangig als solche sehen. Als erstes sind wir Helfer*innen und moralische Wesen die für die „gute Sache“ arbeiten. Dieser Konflikt tritt in Krisenzeiten besonders hervor – lässt uns viel aushalten, wird aber oft auch gezielt genutzt um uns viel aushalten zu lassen. In manchen Einrichtungen wird ein Wir-Gefühl genutzt um, die Interessen der Arbeitnehmer*innen dem Weiterbestand des Trägers (so dramatisch wird es ausgedrückt) unterzuordnen. Weil wir hier doch gemeinsam für die „gute“ Sache sind, weil wir alle zusammen nur das Beste für unsere Klient*innen wollen, denen es immer noch ein bisschen schlechter geht, als uns selbst. Dabei nehmen wir auch in Kauf, wenn wir Mehrbelastungen oder steigendem Risiko ausgesetzt werden, wie es gerade auch zu Zeiten von Corona passiert.

Dabei geht jedoch unter, dass die Einforderung unserer eigenen Rechte oft im direkten Verhältnis zur Betreuung und Wohl der Klient*innen steht.

 

Organisieren wir uns!

Während unsere Klient*innen erneut von der Gesellschaft  im Stich gelassen werden und somit besonders hart von der Coronakrise betroffen sind, werden Wirtschaftsunternehmen und ihre Profite gerettet.  Wir sozialen Fachkräfte sollen ausbaden, dass unseren Klient*innen keine Hilfe durch den Staat bekommen und in seinem Namen den Burgfrieden wahren. Das wollen und werden wir nicht einfach so hinnehmen!

Wir wollen eine Telegram-Gruppe schaffen, in der Arbeitnehmer*innen aus dem Sozialen Bereich die Möglichkeit haben über ihre Erfahrungen, Ängste und Situationen zu berichten, aber auch gemeinsam Aktionen und Initiativen zu schaffen und Mitstreiter*innen zu finden. Gemeinsam können wir uns Gehör verschaffen, Initiativen in den Gewerkschaften starten und Möglichkeiten entwickeln uns zu wehren.

Tretet der Telegram-Gruppe t.me/austauschsozialerbereich bei, lasst uns wissen wie es im Moment in eurem Arbeitskontext aussieht.

 

Als Anregung hierzu ein paar Fragen:

 

       

  1. In welcher Art von Einrichtung (Bereich/Träger) arbeitest du?

       

  1. Wie sieht dein Arbeitsalltag normalerweise aus? Was hat sich seit dem Corona-Ausbruch verändert?

 

  1. Gab es schon vor Corona Schwierigkeiten (zB.Personalmangel, Überstunden, Sparmaßnahmen,…)?

 

  1. Fühlst du dich während der Arbeit ausreichend vor einer Ansteckung geschützt?

 

  1. Hast du finanzielle Einbußen und wenn ja, wie kommst du zurecht?

 

  1. Was wären deine Forderungen an die Betriebsleitung und an die Regierung?