Diese oder ähnliche Schlagzeilen konnten wir in den letzten Wochen immer wieder lesen. Wir sagen: Die Corona-Krise machtverschärft sichtbar, wofür bis vor wenigen Wochen noch zu wenig Aufmerksamkeit und und der Wille zu politischem Handeln bestanden hat:
Durch die Corona-Pandemie wird deutlich, welche Berufe gesellschaftlich notwendig sind, ohne die die Gesellschaft nicht am Laufen gehalten werden kann. Das sind Pflegekräfte, Reinigungskräfte, Verkäufer*innen im Lebensmittelhandel, Berufe der Personenbeförderung, Paketzusteller*innen und viele mehr. In „Zeiten von Corona“ zeigen sich die fatalen Konsequenzen der Tatsache, dass diese Berufsgruppen in den vergangenen Jahren zu wenig gesellschaftliche und politische Anerkennung erfahren haben – und dass ihre Arbeit vor allem systemmatisch zu gering entlohnt wurde und wird. Diejenigen, die in diesen Tagen die Gesellschaft „tragen“, verdienen unterdurchschnittlich wenig. Auf diesen Missstand gilt es mehr denn je aufmerksam zu machen und Forderungen zu stellen.
Arbeitsbedingungen von Frauen* in ’systemrelevanten‘ Berufen:
75% der Berufstätigen, die in der ‚kritischen Infrastruktur‘ arbeiten, sind Frauen*. Auch schon vor der Krise hatten Frauen* in diesen Bereichen mit Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Ihre Tag für Tag wichtige Arbeit wurde nie anerkannt und gewertschätzt. Sie waren schon immer der Profitlogik ihrer Arbeitgeber*innen ohne den gesellschaftlichen Rückhalt ausgesetzt. Auf die Missstände in diesen Bereichen hat die Frauenbewegung schon seit langer Zeit aufmerksam gemacht. Wir fordern die Aufwertung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit, bezahlt oder unbezahlt. Aber vor allem fordern wir höhere Löhne für Pfleger*innen, Verkäufer*innen, Arbeiter*innen der Personenbeföderung, Erzieher*innen. Denn wir können uns keinen Personalmangel in diesen Berufsgruppen ‚leisten‘!
Care-Arbeit und zusätzliche Belastung von Müttern im Home-Office: Neben der Erwerbstätigkeit erledigen Frauen* den Großteil der häuslichen Arbeit. 80% der Kindererziehung, Hausarbeit und der Pflege von Angehörigen wird von Frauen* übernommen. Diese zusätzliche Belastung ist nun durch die wochenlangen Kita- und Schulschließungen für viele Frauen* zu einem massiven Problem geworden. Die, die das „Glück“ haben im Home-Office zu arbeiten, müssen das mit der gleichzeitigen Kinderbetreuung und dem Home-Schooling vereinen. Andere müssen ihre Kinder bei Freund*innen unterbringen. Home-Schooling stellt für alle Eltern eine zusätzliche Belastung dar. Diese Aufgabe droht aber insbesondere diejenigen Familien zu überfordern, die keinen akademischen Bildungshintergrund haben, und/oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Corona darf nicht die Klassenunterschiede verschärfen, indem es Kinderbetreuung und Schulbildung zur Aufgabe der Familien macht! Eine gesellschaftliche Lösung für diesen Zustand gibt es bisher nicht.
Die Gefahr häuslicher Gewalt ist für Frauen* besonders hoch: Von dem Isolationsprinzip sind vor allem Frauen* und Kinder der Gefahr häuslicher Gewalt ausgesetzt. Studien belegen, dass in Deutschland durchschnitlich jede dritte Frau auch ohne Corona-Krise mindestens einmal in ihrem Leben zum Opfer partnerschaftlicher Gewalt wird. Im Zentrum partnerschaftlicher Gewalt stehen vor allem Frauen* und Kinder. 81% der Gewalttaten werden von Männern auf ihre Partner*innen ausgeübt. Die Corona-Krise und die Ausgangsbeschränkungen drohen einen Anstieg häuslicher Gewalt hervorzurufen. Denn das Zusammenleben mehrere Personen auf engstem Raum kann zu Aggression und zusätzlichen Konflikten führen. Die Ausgangssperren verhindern, dass sich Frauen* der Gewalt entziehen können und die Zustände von anderen wahrgenommen werden. Zudem ist der Täter permanent vor Ort und kann mithören. Das führt dazu, dass sich Frauen* tendenziell keine Hilfe holen können. Studien aus Ländern wie China und Italien, die von dem Corona-Virus besonders betroffen sind, zeigen schon jetzt, dass sich die Zahl partnerschaftlicher Gewalttaten gegen Frauen verdreifacht hat.
Gleichzeitig sind Frauen*häuser in Deutschland ohnehin überlastet. Sie sehen sich auf eine verstärkte Aufnahme und Betreuung von betroffenen Frauen* und Kindern nicht vorbereitet – und auch nicht für den Fall vorbereitet, wenn sich Frauen* oder Betreuungspersonen mit dem Virus infizieren sollten. Dass heißt, dass wir jetzt hinschauen müssen! Freund*innen und Nachbar*innen sollten in diesen Tagen aufmerksamer sein und öfter einmal bei betroffenen Frauen* anrufen oder eine Nachricht schreiben. Wir brauchen aber auch dringend mehr Kapazitäten in Frauen*häusern und alternative Unterbringungen! Dafür muss eine gezielte Kommunikation und Beratung mit Frauen*häusern stattfinden.
Diese Forderungen gelten nicht nur für die Zeit, bis die Corona-Pandemie überwunden und Ausgangsbeschränkungen ausgesetzt sind. Wir setzen uns für die Entprivatisierung des Gesundheitssystems ein. Wir wollen eine kollektive Antwort auf die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Wir fordern bezahlbaren und einfach verfügbaren Wohnraum, der es Frauen ermöglicht, auszuziehen, wenn ihr Partner gewalttätig wird. Frauen* muss es jederzeit erlaubt sein ihre Wohnung zu verlassen, um in Fällen von Gewalt durch den Partner Hilfe zu suchen, ohne dies bei Kontrollen gegenüber der Polizei schildern zu müssen.
Weiterführende Artikel zum Thema:
https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-haeusliche-gewalt-hilfe-1.4862320